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Empathiefähigkeit für Trainer

von | 06.05.24 | Prof. Dr. René Paasch

„In der Historie des Spitzensports war und ist der Trainer neben dem Athleten die zentrale Person. Seine Kompetenz und seine Arbeitsbedingungen sind entscheidend für Erfolg oder Misserfolg“ (Brand, Schmidt, Klinger, Ranze & Wieneke, 2000, S. 17). Des Weiteren benennen Trainer (Gould et al., 2002) als auch Athleten (Jowett & Cockerill, 2003), die erfolgreich an olympischen Spielen teilgenommen haben, gegenseitiges Vertrauen, Respekt und gemeinsame Ziele als wichtigste Merkmale einer Trainer-Athlet-Beziehung, die Leistungssteigerung, Erfolg und Zufriedenheit erzielen kann. Sie gehen somit eine einzigartige emotionale und soziale Beziehung ein. Jowett (2003) definiert daher die drei Beziehungsvariablen (3 C´s) emotionale Nähe (Closeness), Komplementarität (Complementarity) und Koorientierung (Co-orientation). Die Beziehung zum Trainer hat somit eine hohe Bedeutung für ihre Leistungsentwicklung und sollten daher um die 3C’s erweitert werden. Sie ist größtenteils bedingt und beeinflusst von den jeweiligen Umständen und den Adressaten, weshalb ein erfolgreicher Austausch im Rahmen persönlicher Konversationen von großer Wichtigkeit ist. Denn Sportler haben ein gutes Gespür für die Fähigkeiten ihres Trainers, die Angemessenheit seiner Handlungen und ob er über einen Sinn für Abläufe, Menschen und Umstände sowie über Einfühlungsvermögen verfügt. Davon ist das erfolgreiche Funktionieren von Interaktionen und letztendlich auch der Beziehung zwischen dem Trainer und seiner Spieler abhängig. Deshalb ist Empathie eine essenzielle Voraussetzung, damit die Handlungen eines Trainers von Erfolg gekrönt sind und zwischen ihm und seines Spielern eine Basis von reziprokem Verständnis, von Geduld und Akzeptanz herrschen kann. Alle Aufgaben eines Trainers (Unterrichten, Diagnostizieren, Beraten, Beurteilen) beruhen in gleichem Ausmaß auf Empathie.

Zum Thema: Wie kann ein Trainer Empathie entwickeln und fördern?

Der Empathiebegriff stammt aus dem Griechischen („empatheia“ = Einfühlung) und bedeutet zunächst grob „Einfühlungsvermögen“. Es steht in Verbindung mit den Gefühlen anderer Menschen sowie mit dem entgegengebrachten Verständnis ihrer Aktionen und ihrer Umstände auf intellektueller Ebene. Bezogen auf das Trainerumfeld stellt Empathie die Fähigkeit dar, das Empfinden und die Absichten der Spieler im Rahmen bestimmter Umstände in Bezug auf Interaktionen und Kommunikation zu erkennen und zu verstehen. Daraus sollten dann Einsichten und Erfahrungen herausgefiltert werden und eine Anpassung des eigenen Auftretens und Handelns erfolgen. Als grundlegende Bedingung für Empathie muss eine offene Atmosphäre und ein Verhältnis reziproken Vertrauens geschaffen werden. Darin sollen beide Parteien ehrlich und ohne Vorbehalte oder Vorurteile auftreten und sich verhalten können. Denn Sportlern muss von Seiten des Trainers ein Gefühl der Zuwendung, des Verstanden werdens auf mentaler und emotionaler Ebene und der Aufmerksamkeit gegenüber ihren Bedürfnissen vermittelt werden. Deshalb muss dieser sich auch in ihre Lage hineinversetzen können, damit ein Erkennen, Erfassen und Verstehen ihrer Absichten, Gefühle und Einstellungen erfolgen kann. Basierend auf diesen Erkenntnissen kann er dann entsprechend in didaktischer, pädagogischer oder kommunikativer Hinsicht reagieren und sein Verhalten anpassen. Deshalb muss das Verständnis des Empathiebegriffs im Kontext sportlicher Arbeit weiter gefasst werden und mehr als die bloßen definitorischen Merkmale umfassen, denn Empathie wird in diesem Rahmen zu einem bedeutsamen Werkzeug des Trainers und spiegelt seine Kompetenz wieder.

Fähigkeit zur Empathie

Die Fähigkeit des Trainers zur Empathie kann nur in Verbindung mit Kompetenz auf sozialer und gefühlsmäßiger Ebene entwickelt werden, sodass ein Trainer am besten über die Fähigkeit zur Selbstreflexion und zum Führen guter Beziehungen sowie eine ausgeglichene Persönlichkeit besitzt. Auch über ein ausreichendes Maß an Verantwortungsbewusstsein sollte er verfügen, um sich hinreichend mit den Emotionen, Absichten und mentalen Prozessen der Spieler auseinandersetzen zu können. Diese Eigenschaften sind von essenzieller Wichtigkeit, denn Empathie wird immer auch beeinflusst durch persönliche Wünsche und Gedankengänge. In letzter Instanz bilden all diese Abläufe und Einflüsse, auch eigener Vorstellungen, die letztendlichen Ergebnisse in Bezug auf das Empathievermögen. Zudem müssen die Spieler sich sicher sein können, dass Trainer die von ihnen offenbarten Gefühle, Gedanken und Sichtweisen nicht ausnutzen und für eine Machtausübung in Bezug auf unzweckmäßige und unangemessene Sachverhalte missbrauchen. Auch ein übertriebenes Maß an Fürsorge sollte aus den gleichen Gründen vermieden werden.

Das Verhaltenstraining soll bilden und in gewisser Weise bzw. in geringem Maße einen Erziehungsauftrag von Sportlern erfüllen, der allerdings nur effektiv ausgeführt wird, wenn die Sportler auch in der Praxis angesprochen und erreicht werden. Aus diesem Grund sollen die individuellen Inhalte, Themen und Anliegen in geeigneter Weise in die Kommunikation und Interaktion eingefügt werden. Prinzipiell sind alle Umstände des Handelns im Sport , d.h. für Beratungs- und Beurteilungssituationen sowie für Anstöße des Lernens gleichermaßen, von dieser Voraussetzung abhängig. Diese komplexen Verflechtungen können sehr gut anhand des Modells der Themenzentrierten Interaktion (TZI) von Ruth Cohn (1983) untersucht und verstanden werden. Das Modell zeigt, dass das ES (Inhalt/Thema), WIR (Trainer und Gruppe) und ICH (die einzelne Person) sowie der GLOBE (gesamter Kontext, Trainingsumfeld) für die Schaffung erfolgreicher und ertragreicher Begegnungen und Auseinandersetzungen mit dem Lernen in eine optimale Balance gebracht werden müssen, auch wenn dies nicht in jeder beliebigen Lage möglich ist. Trainer müssen jedoch ein Gespür dafür haben, in welchen Momenten und zu welchen Anlässen didaktischer oder pädagogischer Art welche Faktoren jeweils zum Einsatz kommen und wie das Training dementsprechend rechtzeitig angepasst werden muss. Unterschiedliche Personen, Umstände, Abläufe und Situationen müssen vom Trainer mit größtmöglicher Empathie und Aufmerksamkeit perzipiert und sein Handeln und seine Reaktion daran angemessen und rechtzeitig angepasst werden. Dies ist allerdings wegen des ständigen zeitlichen und Entscheidungsdrucks und der ohnehin konkreten Ungewissheit des Ausgangs von Handlungssituationen sowie ihrer Schwierigkeit leichter gesagt als getan und kann leicht überwältigend wirken. Aus diesem Grund sollten sich Trainer vor allem auf ihre innere Stimme verlassen, im richtigen Moment intuitiv handeln und sich außerdem seiner eigenen Begrenztheit bewusst werden, um mit solchen Situationen angemessen umgehen zu können.

Empathie als Mittel zur Konfliktprävention

Die Fähigkeit zur Empathie erlaubt eine akkuratere Anpassung der grundlegenden Planungsentscheidungen (Verfahren, Inhalte und Ziele) an die gegebenen Vorbedingungen im Bereich der Planung. Um diese Entscheidungen allerdings auch aus der Perspektive der Sportler zu fällen und vorzubereiten, muss ein planender Trainer sich in sie hineinversetzen und sich z.B. ihr Verhalten bei bestimmten Aufgabenstellungen im Rahmen einer Gruppenarbeit oder ihre Reaktionen auf ein spezielles Thema oder ein besonderes Trainingsangebot vorstellen. Zudem kann die Empathiefähigkeit ein hilfreiches Instrument bei der Vorbeugung oder Entschärfung von Störungen, Konflikten in ihren jeweiligen Stufen oder anderen Belastungssituationen darstellen. Auf diese Weise ist der Trainer in der Lage, potenzielle Konflikte oder Probleme und ihre kausalen Zusammenhänge in gewissem Maße vorherzusehen, indem er empathisch die anwesenden Sportler und ihre Konstellationsstrukturen wahrnimmt und analysiert. Besonders aber ist Empathie nützlich, wenn bestimmte Lernabläufe begleitet werden, in tatsächlichen Handlungssituationen, wenn Gedanken und Erfahrungen ausgetauscht werden oder wenn Sportler untereinander sowie Spieler und Trainer miteinander kommunizieren. Dabei wirkt immer auch eine Vielzahl komplexer Einflussfaktoren ein, darunter z.B. die Dynamik der Gruppe, das Klima, das individuelle Zielverhalten der Sportler, Ziele und Gefühle des Trainers, Äußerungen verbaler und non-verbaler Art sowie Aspekte fachlicher Art. Fehlendes Empathieverhalten kann hier zum Verfehlen von Zielen, zur Blockade im Rahmen von Gesprächen bzw. bei der Kommunikation, zur Fehlinterpretation oder gar zum Missbrauch von Beiträgen der Spieler oder zu unergiebigen und schwammigen Mannschaftsergebnissen führen, denn ziel- und prozessbezogenes Handeln und Entscheiden wird von Seiten des Trainers schwierig oder gar unmöglich.

Empathieverhalten beeinflusst auch das Handeln des Trainers bei anderen Anlässen und Situationen in der Praxis stark bezüglich seiner Effizienz, insbesondere z.B. bei der Begleitung von Lernprozessen. Trainerhilfe ist bei eventuell auftretenden Problemen wie Denkblockaden, Verständnis- oder Lernschwierigkeiten der Spieler oft unerlässlich. Diese Herausforderungen können nur bewältigt werden, indem der Trainer sich in ihre Situation und ihre mentale sowie emotionale Lage versetzt und die Probleme und ihre kausalen Zusammenhänge aus ihrer Perspektive betrachtet. Dies kann durch lautes Denken der Spieler und richtiges Zuhören des Trainers unterstützt werden. Auch im Bereich der Mannschaftsarbeit hilft Empathievermögen bei der Anpassung der Aufgaben sowie der räumlichen, zeitlichen und persönlichen Variablen an die jeweiligen Umstände und Adressaten. Dadurch können auftretende Fragen, z.B. welche Spieler (weiter) zusammenarbeiten, nach der Verteilung eventueller zusätzlicher Aufgaben oder nach der Reihenfolge und dem Ort der Vorstellung der Gruppenergebnisse, vernünftig angegangen werden. Sowohl die Stimmen der Spieler als auch ihre Körpersprache muss der Trainer dabei gründlich observieren und kann dadurch Störungen oder Konflikte bereits im Entstehungsstadium erfassen und abwenden. Ein ständiger Mangel des Empathieverhaltens in einer konkreten Situation kann den Trainer und auch den Lernprozess beeinträchtigen und darüber hinaus auch das Verhältnis zwischen dem Trainer und den Aktiven langfristig stark strapazieren. Der Trainer wird dadurch nämlich nicht mehr von den Spielern angenommen, weshalb er sich wiederum zurückzieht oder gar strenges und herrschaftliches Verhalten an den Tag legt. Dies kann auf lange Sicht zu großen Missverständnissen und reziproken Enttäuschungserlebnissen führen, die sich gegenseitig ständig neu entfachen.

Empathie ist erlernbar

Empathisch zu sein und es zu zeigen, gestaltet sich für einen Trainer schwierig, wenn kein offener, persönlicher und angemessener Umgang mit seinen Spielern von seiner Seite erfolgen kann und auch Emotionen und Empfinden keinerlei reaktiven Einfluss auf ihn haben. Genetische Anlagen sowie Sozialisationsprozesse in der frühen Kindheit bilden zudem durchaus Faktoren, die eine spätere Entwicklung und Herausbildung des Empathievermögens zusätzlich erschweren und beschränken können. In der Literatur gibt es jedoch starke Indizien für die mögliche Erlernbarkeit der Fähigkeit zur Empathie und der Kompetenzen auf der Gefühlsebene, auch im Erwachsenenalter (Bischoff-Wanner, 2002; Steiner, 2006). Diskrepanzen herrschen jedoch bezüglich der Methoden zur Herausbildung dieser Fähigkeiten. Insbesondere besteht ein Zweifel an der Transferwirksamkeit von Rollenspielen (Liekam, 2004). Auch wenn Zuneigung und Offenheit als essenzielle Eigenschaften für den Beruf eines Trainers gelten, liegen diese nicht unbedingt immer vor. Steiner (2006) schlägt vor, dass Trainer, denen diese Eigenschaften trotz ihres Berufs fehlen, an Trainingsprogrammen teilnehmen sollten, die von psychologisch ausgebildeten Experten unterstützt werden.

Empathieweltmeister Jürgen Klopp

Fazit: Im Rahmen dieses Blogbeitrages kann der Mut dazu ausgebildet werden, sich von alten Mustern zu trennen und scheinbare Sicherheiten aufzugeben, damit das eigene Selbst und die Mitmenschen reflektiert und andere, neue Erfahrungen darüber gesammelt werden können. Eine Herausbildung von Offenheit, Sicherheit und Verlässlichkeit kann im Rahmen des Trainingsalltags nur unter der Bedingung der Bereitschaft des Trainers erfolgen, die Spieler als individuelle Subjekte zu akzeptieren und gegebenenfalls nicht angepasstes Verhalten von Seiten der Spieler nicht als bedrohlich angesehen wird. Nur dann kann die Arbeit in der Mannschaft von Vitalität, Offenheit und Zuneigung zeugen. Dabei bilden unter anderem Feedback von Seiten der Spieler, Metaunterricht und Kommunikation, aber auch die Mitarbeit und Planung des Trainers innerhalb von Klein- und Kleinstgruppen nur einige Maßnahmen, um die Entwicklung von Offenheit und Orientierung des Trainers gegenüber den Spielern zu erreichen. Auch Seitengespräche in Form von Dialogen helfen dabei. Auch im Rahmen des Austausches und der Praxisberatung unter Kollegen oder im Rahmen des Coachings kann eine optimale Ausgestaltung des Nähe-Distanz-Verhältnisses diskutiert und erörtert werden. Es kann festgehalten werden: „Vom Trainer der Zukunft werden mehrere Qualifikationen als Trainingswissenschaftler sowie als Pädagoge, Psychologe und Sozialarbeiter mit Führungsqualitäten verlangt“ (Brand et al., 2000, S. 17). Abschließend möchte ich Ihnen fünf Empfehlungen für das Jugend- und Erwachsenentraining anbieten:

Ø Leistung nicht als Gewinnen und Siegen definieren,
Ø Schaffe eine positive Trainingsatmosphäre durch positive Verstärkung,
Ø Betone positive Gruppenverhaltensweisen und Zusammenhalt, wie gegenseitige Unterstützung und Hilfeleistung sowie Mannschaftszusammenhalt,
Ø Stelle klare Regeln und Verantwortlichkeiten auf,
Ø Überprüfe dein eigenes Verhalten als Trainer durch Video, Beobachter, Rückmeldung durch Athleten und schätze so ein, ob dein Verhalten den angestrebten Prinzipien entspricht.

Literatur

1. Alfermann, D. & Stoll, O. : Sportpsychologie: Ein Lehrbuch in 12 Lektionen, Aachen, Meyer & Meyer Verlag, 2005
2. Bischoff-Wanner, Claudia: Empathie in der Pflege. Bern 2002
3. Brand, H., Schmidt, P., Klinger, U., Ranze, H. & Wieneke, F. (2000). Trainer – Macher oder Mitläufer? Rolle und Stellenwert im neuen Jahrtausend. Leistungssport, 30 (6), 17.
4. Gould, D., Guinan, D., Greenleaf, C. & Chung, Y. (2002). A survey of U.S. olympic coaches: Variables perceived to have influenced athlete performances and coach effectiveness. The Sport Psychologist, 16, 229-250.
5. Jowett, S. (2006). Interpersonal and structural features of greek coach-athlete dyads performing in individual sports. Journal of Applied Sport Psychology, 18, 69-81.
6. Jowett, S. & Cockerill, I. M. (2003). Olympic medallists’ perspective of the athlete-coach relationship. Psychology of Sport and Exercise, 4, 313-331.
7. Jowett, S. & Poczwardowski, A. (2007). Understanding the coach-athlete relationship. In S. Jowett & D. Lavallee (Eds.), Social psychology in sport (pp. 3-14). Champaign, IL: Human Kinetics.
8. Liekam, Stefan: Empathie als Fundament pädagogischer Professionalität. Dissertation, Ludwig-Maximilians-Universität, München 2004.
9. Steiner, Claude: Emotionale Kompetenz. München 2006

Prof. Dr. René Paasch

Prof. Dr. René Paasch

Professor für Sportpsychologie und Life Coaching

Ich bin verheiratet, habe 7 Kinder und lebe inzwischen in Bayern. Als Familienmensch haben Werte wie Vertrauen, Offenheit und Verantwortung einen hohen Stellenwert für mich.
In meiner Arbeit als Sportpsychologe und Life Coach vertrete ich eine ganzheitliche Sicht. Egal ob Spitzen- oder Breitensport, Beruf oder Privat – jede Situation hat bringt eigene Herausforderung mit, weshalb mich immer das Gesamtpaket interessiert und begeistert.
Weil keine Begleitung und Betreuung der vorherigen gleicht, liebe ich meine Arbeit. Ich verstehe mich dabei als Coach und Mentor und bringe mein gesamtes Wissen und mein Netzwerk in eine Zusammenarbeit mit ein.