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Ein Moment – ein Herzschlag – eine Entscheidung: Wie mentale Stärke Menschen in Hochleistungsfunktionen befähigt, unter Druck klar zu handeln

von | 05.04.25 | Business & Leadership, Mentale Performance, Sportpsychologie & Leistung

Es sind oft nicht die lauten, sondern die stillen Sekunden, die über den weiteren Verlauf entscheiden. Ein einziger Herzschlag trennt Handeln von Zögern, Klarheit von Überforderung, Präsenz von Kontrollverlust. Im Operationssaal, wenn das Team auf die Entscheidung der Chirurgin wartet. Am Elfmeterpunkt, wenn tausende Blicke auf den Spieler gerichtet sind. Im Cockpit, wenn eine plötzliche Störung absolute Konzentration erfordert. In der Notaufnahme, wenn ein einziger Blick über Leben oder Tod entscheidet. Doch nicht nur in diesen Szenen sind Menschen gefordert, in Sekunden Verantwortung zu übernehmen. Auch Manager*innen in kritischen Verhandlungen, Pilot*innen bei unvorhergesehenen Zwischenfällen, Soldat*innen im Einsatz oder Führungskräfte in Krisenmomenten erleben täglich vergleichbare Situationen. Es sind Augenblicke, in denen Fachwissen allein nicht genügt. Was dann zählt, ist innere Klarheit, mentale Präsenz und das Vertrauen, im entscheidenden Moment handlungsfähig zu bleiben. Genau diese Fähigkeit lässt sich trainieren. Und genau hier kann die Sportpsychologie heute einen zentralen Beitrag leisten – weit über das Spielfeld hinaus.

Zum Thema: Wie gelingt es, in Ausnahmesituationen einen kühlen Kopf zu bewahren – und dabei klar, ruhig und handlungsfähig zu bleiben?

Viele Menschen, die täglich unter hohem Druck Entscheidungen treffen, berichten, dass ihnen in kritischen Momenten der Zugriff auf ihr Wissen entgleitet. Trotz Ausbildung, Erfahrung und Können entstehen Momente der inneren Leere – der sogenannte „Blackout“.

Daniel Kahnemans Modell der zwei Denksysteme – bekannt geworden durch Thinking, Fast and Slow – hilft zu verstehen, was im Kopf passiert, wenn es wirklich zählt.

  • System 1 arbeitet automatisch, schnell, intuitiv und emotional. Es ist hilfreich in vertrauten Situationen, aber anfällig für Verzerrungen und impulsives Handeln.
  • System 2 hingegen denkt langsam, reflektiert, analysiert – doch es braucht Energie und Zeit, die in Stressmomenten oft nicht verfügbar sind.

In Hochleistungssituationen übernimmt fast zwangsläufig System 1. Das kann sinnvoll sein – etwa bei routinierten Abläufen – oder riskant, wenn wir auf Autopilot agieren, ohne bewusst zu reflektieren.

Mentale Stärke bedeutet, sich dieser inneren Dynamik bewusst zu sein – und gezielt Methoden zu trainieren, um im entscheidenden Moment den Schalter umzulegen. Genau hier setzt die Sportpsychologie an: Sie vermittelt praxiserprobte Techniken, die unter Druck helfen, klar zu bleiben, Optionen zu sehen und bewusst zu handeln – anstatt von inneren Automatismen überrollt zu werden.

Sportpsychologie als universelles Werkzeug für Hochleistung

Was ursprünglich im Spitzensport entwickelt wurde, hat längst Einzug in andere Hochleistungsbereiche gehalten. Mentale Stärke, Selbstregulation und Emotionsmanagement sind heute nicht nur für Athleten*innen entscheidend – sie sind Teil einer modernen Hochleistungskultur. Ob in der Chirurgie, im Cockpit oder im Konferenzraum: Die gleichen Prinzipien gelten überall dort, wo es auf geistige Klarheit ankommt.

Eine junge Oberärztin berichtete, dass sie sich mental auf schwierige Operationen vorbereitet – ganz ähnlich wie ein Profifußballer auf ein entscheidendes Spiel. Eine Führungskraft reflektierte, wie sie vor wichtigen Gesprächen bewusst Körperhaltung und innere Haltung synchronisiert, um auch in angespannten Momenten souverän zu bleiben.

Die Sportpsychologie liefert dafür keine starren Konzepte, sondern lebendige Werkzeuge – Instrumente, die Menschen helfen, in der Hitze des Gefechts zu sich selbst zurückzufinden.

Mikrotechniken: Soforthilfe im entscheidenden Moment

Wenn keine Zeit für Analysen bleibt, braucht es kompakte, wirksame Methoden. Mikrointerventionen helfen, in Sekunden zurück zur Selbstwirksamkeit zu finden.

Eine bewährte Technik ist der Atemfokus. Durch bewusstes Ein- und Ausatmen – etwa im 4-4-4-Rhythmus – wird das vegetative Nervensystem beruhigt. Ein Notfallsanitäter erzählte mir, dass er diese Technik regelmäßig anwendet, bevor er aus dem Einsatzfahrzeug steigt. Sie hilft ihm, innerlich präsent zu sein – unabhängig von dem, was ihn erwartet.

Ebenso hilfreich ist das Mini-Reframing: Statt „Ich darf keinen Fehler machen“ wählt man bewusst einen konstruktiven Gedanken wie „Ich bin vorbereitet. Ich kann das.“ Diese Art der inneren Selbstführung schafft Klarheit inmitten der Unsicherheit.

Auch die Körperhaltung spielt eine Rolle. Wer sich aufrichtet, die Schultern öffnet und bewusst geerdet steht, signalisiert nicht nur nach außen, sondern auch nach innen: „Ich bin da. Ich bin bereit.“

Tiefer wirken: Mentale Stärke durch gezieltes Training

Während Mikrotechniken in der Akutsituation helfen, braucht es für nachhaltige mentale Stärke gezielte Vorbereitung. Ein besonders wirkungsvolles Instrument ist das Prognosetraining – eine Methode, die ihren Ursprung in der Sportpsychologie hat und sich in medizinischen, militärischen und unternehmerischen Kontexten bewährt. Dabei wird eine Aufgabe gestellt – etwa ein medizinisches Simulationsszenario. Vor der Durchführung geben die Beteiligten eine Prognose ab: Wie gut werde ich mich schlagen? Nach der Ausführung erfolgt ein Abgleich zwischen Erwartung und Realität, gefolgt von einer Reflexion.

Eine Führungskraft berichtete, wie sie Prognosetraining nutzt, um sich auf schwierige Gespräche vorzubereiten. Die bewusste Selbstprognose half ihr, Unsicherheiten in Ressourcen zu verwandeln – sie fühlte sich innerlich gefestigt und handlungsfähig.

Dieses Training stärkt die sogenannte Kompetenzerwartung – das Vertrauen in die eigene Fähigkeit, auch unter Druck wirksam zu bleiben. Und genau diese Haltung ist es, die High Performer*innen langfristig resilient macht.

Die innere Haltung entscheidet

Kompetenzerwartung ist mehr als ein Gefühl – sie ruht auf drei wissenschaftlich fundierten Säulen: Bedeutsamkeit („Was ich tue, ist sinnvoll“), Verstehbarkeit („Ich verstehe, was geschieht“) und Handhabbarkeit („Ich habe Mittel, die Situation zu bewältigen“).

Diese Haltung lässt sich entwickeln – durch Reflexion, Übung und ehrliches Feedback. Ich selbst arbeite mit diesem Modell sowohl im Coaching mit Leistungssportler*innen als auch mit Führungspersönlichkeiten, die Orientierung in unsicheren Zeiten suchen.

Denn mentale Stärke zeigt sich nicht nur im souveränen Auftritt – sie beginnt bei der inneren Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen.

Gedankenstopp statt Gedankenkarussell

Nicht selten ist es weniger die Situation selbst als vielmehr die Interpretation, die Stress verursacht. Wenn der Kopf voller Zweifel ist und innere Kritiker überhandnehmen, braucht es gezielte Techniken zur Selbstregulation.

Eine bewährte Methode ist der Gedankenstopp mit bewusst gesetzten Ersatzgedanken. Statt „Ich schaffe das nicht“ tritt der Gedanke: „Ich bin vorbereitet. Ich konzentriere mich auf das, was jetzt zählt.“

Besonders wirkungsvoll wird diese Technik in Kombination mit Selbstgesprächsregulation – einer Methode aus der Sportpsychologie, die längst in vielen Hochleistungsbereichen Anwendung findet. Durch gezielte innere Sprache lässt sich der Fokus lenken, emotionale Stabilität fördern und die Handlungsausführung unterstützen.

Kurze, klare Sätze wie „Jetzt Fokus!“, „Ruhig bleiben – wie im Training“ oder „Einen Schritt nach dem anderen“ strukturieren den inneren Dialog und unterbrechen automatische Stressreaktionen. Selbstgespräche können dabei handlungsorientiert, motivierend oder beruhigend sein – je nach Bedarf.

Eine Notärztin erzählte mir, dass sie sich vor brisanten Einsätzen ein mentales Skript zurechtlegt – wie ein Schauspieler seine Rolle. Sie geht durch, was sie sagen und denken möchte, wenn es hektisch wird. Dieses Ritual verschafft ihr eine innere Bühne der Klarheit – selbst im Chaos.

Wenn mentale Stärke kippt – und was dann wichtig wird

Der Schlüssel zu klarer Handlung in Ausnahmesituationen liegt in der Vorbereitung. Besonders bewährt hat sich dabei das PETTLEP-Modell aus der Sportpsychologie. Es steht für Physical, Environment, Task, Timing, Learning, Emotion und Perspective – und beschreibt, wie mentale Trainingsprozesse möglichst realitätsnah aufgebaut werden.

Ein erfahrener Anästhesist berichtete mir, wie er sich vor kritischen Notfalleingriffen auf genau diese Weise vorbereitet – wenn auch intuitiv. Er stellt sich den OP-Saal plastisch vor, geht die einzelnen Handgriffe durch, achtet auf den zeitlichen Ablauf, erinnert sich an frühere Erfahrungen und bezieht bewusst die Perspektive des Teams und der Patienten*innen mit ein.

Solche mentalen Simulationen – auch wenn sie nur wenige Minuten dauern – schaffen Vertrautheit mit dem Ausnahmezustand. Der Körper erkennt die Situation wieder, die Handlungssicherheit steigt. Was im Außen chaotisch wirkt, wird im Inneren durch Klarheit gehalten.

Fazit

Egal ob du Verantwortung für Menschenleben trägst, dein Team führst, im Krisenstab Entscheidungen triffst oder auf den Punkt performst: Du bist der Mensch, der zählt, wenn es zählt. Und genau deshalb lohnt es sich, in deine mentale Stärke zu investieren.

Die Sportpsychologie bietet dir dafür keine Patentrezepte – aber praxiserprobte Werkzeuge. Werkzeuge, die dich stärken, fokussieren und dir helfen, deine Rolle mit Bewusstheit, Mut und Haltung auszufüllen.

Take-Home-Message

Ob im OP-Saal, am Elfmeterpunkt oder in der Führungsetage – wer in kritischen Momenten klar denken und entschlossen handeln will, braucht mehr als Fachwissen. Mentale Stärke ist kein Zufall. Sie entsteht durch bewusste Vorbereitung, durch Mikro- und Makrointerventionen wie Atemtechniken, Selbstgespräche, Prognosetraining oder das PETTLEP-Modell. Was im Spitzensport längst Standard ist, wird heute für alle Hochleistungsbereiche unverzichtbar. Gleichzeitig bedeutet mentale Stärke nicht, alles ertragen zu müssen – sondern zu wissen, wann man handeln, wann man innehalten und wann man sich erholen darf. Denn wer in entscheidenden Momenten für andere da sein will, muss zuerst bei sich selbst ankommen.

Prof. Dr. René Paasch

Prof. Dr. René Paasch

Professor für Sportpsychologie und Life Coaching

Ich bin verheiratet, habe 7 Kinder und lebe inzwischen in Bayern. Als Familienmensch haben Werte wie Vertrauen, Offenheit und Verantwortung einen hohen Stellenwert für mich.
In meiner Arbeit als Sportpsychologe und Life Coach vertrete ich eine ganzheitliche Sicht. Egal ob Spitzen- oder Breitensport, Beruf oder Privat – jede Situation hat bringt eigene Herausforderung mit, weshalb mich immer das Gesamtpaket interessiert und begeistert.
Weil keine Begleitung und Betreuung der vorherigen gleicht, liebe ich meine Arbeit. Ich verstehe mich dabei als Coach und Mentor und bringe mein gesamtes Wissen und mein Netzwerk in eine Zusammenarbeit mit ein.