Als der Fußballweltstar Lionel Messi nach dem Gewinn der Weltmeisterschaft 2022 in einem Interview gefragt wurde, was ihn trotz seiner vielen Erfolge motiviert und antreibt, sprach er nicht nur von seinem unermüdlichen Willen, sondern auch von der Wichtigkeit, sich mental stark zu fühlen und kontinuierlich an seiner persönlichen Entwicklung zu arbeiten. Ebenso überraschte Tennis-Sensation Carlos Alcaraz die Sportwelt nicht nur durch seine körperliche Dominanz, sondern auch durch seine bemerkenswerte mentale Reife auf dem Platz. Diese Beispiele zeigen eindrucksvoll, dass im modernen Sport immer mehr Wert auf die ganzheitliche Entwicklung von Athleten*innen gelegt wird. Nicht nur körperliche Stärke und Technik stehen im Vordergrund, sondern auch die mentale Gesundheit und das persönliche Wohlbefinden. In diesem Kontext hat sich das Positive Coaching als eine effektive Methode etabliert, die Athlet*innen nicht nur in ihrer sportlichen Leistung, sondern auch in ihrer persönlichen Entwicklung unterstützt. Doch was genau verbirgt sich hinter dieser Methode, und wie kann sie im sportlichen Umfeld gewinnbringend eingesetzt werden?
Zum Thema: Positives Coaching im Sport
Positives Coaching basiert auf den Prinzipien der Positiven Psychologie, einer wissenschaftlichen Disziplin, die sich mit den positiven Aspekten menschlicher Erfahrungen wie Wohlbefinden, Stärken und optimalem Funktionieren beschäftigt. Im Sport bedeutet dies, dass der Fokus nicht nur auf der Behebung von Defiziten liegt, sondern vor allem auf der Förderung von Stärken, der Entwicklung von Resilienz und der Steigerung des allgemeinen Wohlbefindens der Athleten*innen.
Ein zentraler Aspekt des Positiven Coachings ist die Förderung von Selbstreflexion und Zielsetzung. Athlet*innen werden ermutigt, sich ihrer eigenen Stärken bewusst zu werden und diese gezielt einzusetzen. Techniken wie Stärkenassessments und „Strengths Spotting“ spielen hierbei eine entscheidende Rolle (Richter, Van Zyl, Lara & Stander, 2021). Diese Methoden helfen den Athleten*innen, ihre individuellen Stärken zu identifizieren und sie im sportlichen Kontext optimal zu nutzen.
Die Anwendung im Sport
Im sportlichen Umfeld kann Positives Coaching auf vielfältige Weise eingesetzt werden. So kann es beispielsweise helfen, schwierige emotionale Phasen zu bewältigen und das Selbstvertrauen der Athleten*innen zu stärken. Durch die Nutzung von Ressourcenaktivierung und kognitivem Reframing lernen sie negative Gedankenmuster zu durchbrechen und ihre mentale Widerstandskraft zu erhöhen.
Ein weiterer wesentlicher Bestandteil des Positiven Coachings ist die Entwicklung persönlicher Entwicklungspläne. Diese Pläne helfen den Athleten*innen, klare Ziele zu setzen und ihre Fortschritte kontinuierlich zu überwachen. In diesem Zusammenhang sind auch die Erstellung von Kompetenzassessments und Fortschrittsermittlungen von großer Bedeutung. Diese Werkzeuge ermöglichen es den Athleten*innen, ihre Entwicklung messbar zu machen und sich gezielt weiterzuentwickeln.
Vertiefte Betrachtung der Coaching-Methoden: Praktische Übungen
Das Bild zeigt eine Vielzahl von Coaching- und Entwicklungsmethoden, die von der Zielsetzung über den positiven Beziehungsaufbau bis hin zur Kompetenzbewertung reichen. Diese Techniken bieten einen ganzheitlichen Ansatz, um persönliche Stärken zu identifizieren und zu nutzen, das Wohlbefinden zu messen und emotionale Herausforderungen zu meistern.
Abb.1.: Positives Coaching als Methode (Richter, S., Van Zyl, L. E., Lara, C., & Stander, M. W. , 2021).
1. Intentionale, eigenständige Aktivitäten:
Übung: Entwickle mit Deinem Team oder Deinen Athleten*innen eine Liste von eigenständigen Aktivitäten, die sie in den nächsten Wochen durchführen sollen. Diese könnten sportliche Herausforderungen, Lernaufgaben oder persönliche Projekte umfassen. Lass sie selbst entscheiden, welche Aktivitäten sie wählen, und unterstütze sie dabei, diese konsequent zu verfolgen.
2. Zielsetzung:
Übung: Setze Dich mit jeder*m Athleten*in oder Teammitglied einzeln zusammen und entwickle SMART-Ziele (Spezifisch, Messbar, Attraktiv, Realistisch, Terminiert) für die nächsten drei Monate. Überwache regelmäßig den Fortschritt und unterstütze bei der Anpassung der Ziele, falls nötig.
3. Erstellung eines persönlichen Entwicklungsplans:
Übung: Erstelle gemeinsam mit Deinem Team oder Deinen Athleten*innen individuelle Entwicklungspläne. Diese sollten die aktuellen Stärken und Schwächen, konkrete Ziele sowie einen Zeitrahmen und spezifische Maßnahmen zur Erreichung der Ziele umfassen. Überprüft den Plan regelmäßig und passt ihn bei Bedarf an.
4. Ressourcenaktivierung:
Übung: Führe eine Ressourcenanalyse mit Deinem Team durch. Lasst jedes Mitglied seine verfügbaren Ressourcen aufschreiben – dazu können Fähigkeiten, Netzwerke oder materielle Ressourcen gehören. Entwickelt gemeinsam Strategien, wie diese Ressourcen optimal eingesetzt werden können, um aktuelle Herausforderungen zu bewältigen.
5. Re-contracting:
Übung: Setze regelmäßig Reflexionsgespräche an, in denen Du mit Deinem Team oder Deinen Athlet*innen bestehende Vereinbarungen überprüfst. Diskutiert gemeinsam, ob die aktuellen Ziele und Maßnahmen noch passen oder ob Anpassungen nötig sind.
6. Umgang mit schwierigen Emotionen:
Übung: Führe eine „Emotionale Check-In“-Routine ein, bei der Athleten*innen oder Teammitglieder vor jeder Sitzung oder Trainingseinheit ihre aktuelle emotionale Verfassung mitteilen. Arbeite mit ihnen an Techniken wie Atmung, Achtsamkeit oder positiver Selbstgesprächsführung, um mit negativen Emotionen umzugehen.
7. Stärkenassessments:
Übung: Nutze ein standardisiertes Stärkeninventar wie den VIA-Strengths Survey, um die Stärken jedes Teammitglieds zu identifizieren. Besprecht gemeinsam die Ergebnisse und entwickelt individuelle Trainingspläne, die diese Stärken gezielt weiterentwickeln.
8. Strengths Spotting:
Übung: Führe eine „Stärken-Safari“ ein. Während des Trainings oder der Arbeit beobachtet jede*r Teilnehmer*in seine Umgebung und notiert sich Situationen, in denen er*sie oder ein*e Kolleg*in seine*ihre Stärken eingesetzt hat. Am Ende der Woche werden diese Situationen in der Gruppe besprochen, um das Bewusstsein für Stärken zu schärfen.
9. Positiver Beziehungsaufbau:
Übung: Initiere regelmäßige „One-on-One“-Gespräche mit jedem Teammitglied oder jeder*m Athlet*in. Nutze diese Zeit, um nicht nur über sportliche Ziele, sondern auch über persönliche Anliegen und Herausforderungen zu sprechen. Ziel ist es, eine tiefergehende Vertrauensbasis zu schaffen.
10. Fähigkeitennutzung (Aktives Zuhören):
Übung: Trainiere aktives Zuhören in der Gruppe. In Paaren sollen sich die Teilnehmer*innen gegenseitig eine persönliche Herausforderung schildern, während der*die andere aktiv zuhört und anschließend zusammenfasst, was er*sie gehört hat. Diese Übung fördert das Verständnis und stärkt die zwischenmenschliche Kommunikation.
11. Fortschrittsermittlung:
Übung: Implementiere ein wöchentliches Fortschrittsjournal, in dem jedes Teammitglied oder jede*r Athlet*in seine*ihre Fortschritte dokumentiert. Reflektiere gemeinsam in regelmäßigen Meetings die Einträge und passe die Maßnahmen entsprechend an.
12. Kompetenzassessment:
Übung: Erstelle ein Kompetenzprofil für jedes Teammitglied, basierend auf den Anforderungen der jeweiligen Rolle. Führe regelmäßige Assessments durch, um die Entwicklung der notwendigen Fähigkeiten zu überprüfen und gezielte Trainingsmaßnahmen abzuleiten.
13. Positive Selbstreflexion:
Übung: Führe eine „Erfolgsliste“ ein, in der jedes Teammitglied täglich drei positive Ereignisse oder persönliche Erfolge notiert. Diese Liste wird am Ende der Woche reflektiert und besprochen, um den Fokus auf das Positive zu lenken.
14. Stärkennutzung & -entwicklung:
Übung: Erstelle individuelle Entwicklungspläne, die sich speziell auf die Nutzung und Weiterentwicklung der identifizierten Stärken konzentrieren. Überwache den Fortschritt regelmäßig und passe den Plan an, um sicherzustellen, dass die Stärken optimal genutzt werden.
15. Kognitives Reframing:
Übung: Führe eine „Reframing-Runde“ ein, bei der Teammitglieder eine aktuelle Herausforderung schildern und gemeinsam nach einer positiven Perspektive suchen. Diese Übung hilft, negative Denkmuster zu durchbrechen und optimistischere Sichtweisen zu fördern.
16. Sozialer Fähigkeitsaufbau:
Übung: Organisiere Teamaktivitäten außerhalb des Trainings, die darauf abzielen, die sozialen Fähigkeiten zu stärken. Dies könnte ein gemeinsames Projekt oder eine Team-Challenge sein, bei der Zusammenarbeit und Kommunikation im Mittelpunkt stehen.
17. Persönlichkeits- und Wohlbefindensmessung:
Übung: Implementiere regelmäßige Umfragen oder Selbstbewertungsbögen, die das Wohlbefinden und die Persönlichkeitseigenschaften der Teammitglieder erfassen. Nutze die Ergebnisse, um individuelle Unterstützungsmaßnahmen zu entwickeln.
18. Sinnfindung:
Übung: Führe eine „Purpose-Session“ durch, in der jedes Teammitglied über seine persönlichen Werte und Ziele nachdenkt. Diskutiere, wie diese mit den aktuellen Aufgaben oder der sportlichen Karriere in Einklang gebracht werden können. Sinnfindung hilft Athleten*innen, eine tiefe innere Motivation zu entwickeln, die über kurzfristige Erfolge hinausgeht. Dies stärken die Motivation und das Engagement, indem die sportlichen Aktivitäten in einen größeren Kontext eingebettet werden.
Fazit
Positives Coaching bietet im Sport einen ganzheitlichen Ansatz, der sowohl die Leistung als auch das persönliche Wohlbefinden der Athleten*innen fördert. Durch die gezielte Arbeit an Stärken, die Förderung von Selbstreflexion und die Entwicklung von Resilienz werden sie in die Lage versetzt, nicht nur ihre sportlichen Ziele zu erreichen, sondern auch in ihrer persönlichen Entwicklung zu wachsen.
Take Home Message
Die Wirksamkeit des Positiven Coachings wird durch zahlreiche Studien belegt. Richter et al. (2021) führen in ihrer systematischen Übersicht und Klassifikation von positiven psychologischen Coaching-Tools und -Techniken an, dass diese Methoden nicht nur das Wohlbefinden der Athlet*innen steigern, sondern auch ihre sportliche Leistung positiv beeinflussen können. Weitere Studien betonen die Bedeutung von positiven Emotionen und Resilienz als Schlüsselfaktoren für den Erfolg im Sport. Es ist nicht notwendig, alle diese Aspekte zu berücksichtigen, doch es kann sehr hilfreich sein, sie in die Coaching-Strategien einzubeziehen, um das volle Potenzial der Athleten*innen zu entfalten.
Literaturverzeichnis
- Richter, S., Van Zyl, L. E., Lara, C., & Stander, M. W. (2021). Positive psychological coaching tools and techniques: A systematic review and classification. Frontiers in Psychiatry, 12, 1114. https://doi.org/10.3389/fpsyt.2021.790853
- Biswas-Diener, R., & Dean, B. (2007). Positive Psychology Coaching: Putting the Science of Happiness to Work for Your Clients. Hoboken, NJ: John Wiley & Sons.
- Güss, C. D., Burger, M. L., & Dörfler, T. (2017). Positive Psychology in Coaching: Best Practices for Client Well-Being. New York: Routledge.
- Seligman, M. E. P. (2011). Flourish: A Visionary New Understanding of Happiness and Well-being. New York: Atria Books.
- Passmore, J., & Velez, M. J. (2012). The Coaching Relationship: Putting People First. London: Routledge.
- van Nieuwerburgh, C. (2017). An Introduction to Coaching Skills: A Practical Guide. 2nd Edition. Los Angeles: SAGE Publications.