Kognitive Leistungsfaktoren im Fussball, wie die Antizipation, Wahrnehmung, Aufmerksamkeit oder Spielintelligenz, sind Erfahrungen, die im Arbeitsgedächtnis gespeichert werden. Der Begriff des Arbeitsgedächtnisses wird zumeist nicht sofort mit dem Fußballspiel assoziiert. Dennoch spielt es eine wichtige Rolle, zum Beispiel bei der Ausführung einer Technik oder beim Erinnern an eine vom Trainer ausgesprochene Anweisung.
Zum Thema: Das Arbeitsgedächtnis im Fussball trainieren (Teil 7)
Der Begriff Arbeitsgedächtnis wird verwendet, um die Fähigkeit zu beschreiben, zielgerichtete Informationen aufrechtzuerhalten und zu verarbeiten. Im Kern sind es komplexe Wahrnehmungen und stetige Arbeitsleistungen (Conway et al., 2007). Obwohl die individuelle Kapazität des Arbeitsgedächtnisses eines Athleten keinen Einfluss auf divergente Leistungen im Sportspiel zu haben scheint (Furley & Memmert, 2015), ist es dennoch ratsam, dass Trainer aufgrund der limitierten Kapazität des Arbeitsgedächtnisses (Cowan, 2005, Baddeley, 2007) bei taktischen Instruktionen nicht zu viele Informationen zur gleichen Zeit geben. Zudem muss beachtet werden, dass besonders beim (taktischen, kognitiven, motorischen) Neulernen das Arbeitsgedächtnis in einem größeren Maße beansprucht wird (Schmidt & Wrisberg, 2004). Von besonderer Bedeutung für die Kognitionen im Fußball sind daher die Kapazität und die generelle Funktionsweise des Arbeitsgedächtnisses (Furley & Memmert, 2010).
Für viele kognitive Aufgaben wird ein Gedächtnis benötigt (bspw. Wissen und Erfahrungen aus dem Langzeitgedächtnis, Koordinierungsaufgaben etc.) als auch die Bearbeitung all dieser Informationen. Nahezu alle kognitiven Leistungen erfordern die anforderungsabhängige Bereitstellung von Information. Das Arbeitsgedächtnis ist damit ein Schlüsselsystem für das Verständnis komplexer kognitiver Leistungen (Engle, 2002). Experten speichern im Gegensatz zu Novizen nämlich spezifische Ereignisse (z.B. Spieler- und Gegenspielerverhalten, taktische Ausrichtungen) nicht als einzelne Informationseinheit ab, sondern als taktisches Muster der Spielerkonstellationen. Zum einen erleichtert und verbessert dies im besonderen Maße die frühzeitige Antizipation von bedeutungsvollen Situationskonstellationen. Zum anderen wird die limitierte Kapazität des Arbeitsgedächtnisses von Experten nicht so schnell aufgebraucht wie bei Novizen (Williams, Hodges, North & Barton, 2006). Die generelle Funktionsweise des Arbeitsgedächtnisses, d.h. die Tatsache, dass im Arbeitsgedächtnis Informationen kurzfristig bearbeitet, manipuliert und strukturiert werden (Conway et al., 2007), hat wichtige Konsequenzen für das Entscheidungstraining im Sportspiel. Furley & Memmert (2013) stellten fest, dass die aktivierten Inhalte des Arbeitsgedächtnisses den Aufmerksamkeitsfokus eines Athleten dadurch lenken kann, indem die Aufmerksamkeit auf diejenigen Objekte ins visuellen Feld gerichtet werden, auf die sich die Inhalte des Arbeitsgedächtnis beziehen. Zudem wurde nachgewiesen, dass die Kapazität des Arbeitsgedächtnisses Vorhersagen erlaubt, welche Athleten in der Lage sind, ihre Aufmerksamkeit gezielt zu kontrollieren, indem aufgabenirrelevante Reize ausgeblendet werden und somit Interferenzen vermieden werden (Furley & Memmert, 2012). Demzufolge bedeutet dies insbesondere für das methodische Prinzip Deliberate Memory als eines der 7D (Näheres dazu https://www.die-sportpsychologen.de/2019/09/dr-rene-paasch-sieben-uebungen-um-spielkreativitaet-im-fussball-zu-trainieren/), das im positiven Fall Instruktionen des Trainers den Aufmerksamkeitsfokus der Athleten lenken und somit taktisch-kreative Entscheidungen erleichtern können. Im negativen Fall greifen Athleten verstärkt auf irrelevante Informationen des Trainers zurück, die das Treffen von optimalen Entscheidungen durch eine ungünstige Aufmerksamkeitskontrolle in der spezifischen Situation verhindern (Furley, Memmert & Heller, 2010). Die nun folgenden Übungsbeispiele eignen sich hervorragend für das Training des Arbeitsgedächtnisses im Fussball:
Bälle im Spiel
Organisation und Aufbau
Ein 15 x 20 m großes Spielfeld mit zwei Mini- und zwei Stangentoren. Es werden jeweils drei Bälle links und rechts des Feldes positioniert und einer direkt zum Start im Feld. Insgesamt werden zwei Teams mit jeweils drei Spielern gebildet. Freies Spiel auf jeweils ein Mini- und ein Stangentor. In das Minitor muss gepasst und durch das Stangentor gedribbelt werden. Ist ein Treffer erzielt, holt ein Spieler des erfolgreichen Teams schnell einen neuen Ball von außen ins Feld etc. Wer von den sieben Bällen mehr im Tor unterbringt, gewinnt.
Quadratspiel 3:3
Organisation und Aufbau
Es wird ein 16 x 16 m großes Spielfeld mit vier gleich großen Quadraten (4 x 4 m) mit Hütchen markiert. Im Feld wird 3 (gelb) gegen 3 (rot) gespielt und außerhalb des Felds stehen vier weitere Spieler als Anspieler (jeweils ein Spieler pro Seite), die allerdings nur einem Team zugeordnet werden. Es wird die ganze Zeit auf Ballbesitz gespielt, wobei zu Beginn das gelbe Team die Möglichkeit hat, die vier äußeren Spieler mitzunutzen. Die wichtigste Regel lautet, dass sich die drei Spieler im großen Quadrat bei Ballbesitz in unterschiedlichen kleinen Quadraten befinden müssen. Pro kleines Quadrat darf sich in Ballbesitz somit nur ein Spieler aufhalten. Das bedeutet für die Spieler, dass sie ständig Muster erkennen müssen, um sich je nach ballbesitzendem Spieler korrekt freizulaufen, um anspielbar zu sein. Die Spieler werden nach zwei Minuten durchgewechselt, von außen nach innen und vom Dreier- in das Siebenerteam. Es können Punkte erzielt werden, wenn zB. das rote Team es schafft, den Ball von einem Außenspieler zum gegenüberliegenden Außenspieler zu passen.
Tipp: Menschen verfügen über einen weiteren Mechanismus, um die begrenzte Kapazität des Arbeitsgedächtnisses zu umgehen: So können Spieler mit zunehmender Erfahrung lernen, Spielsituationen frühzeitig in ihrer Entstehung zu erkennen. Hier kommt das kognitive Prinzip des „Chunkings“ zum Tragen, indem nicht jeder einzelne Spieler auf dem Feld als Informationseinheit abgespeichert bzw. abgerufen wird, sondern die Konstellation der Spieler als Ganzes. Dadurch wird die limitierte Kapazität des Arbeitsgedächtnisses nicht so schnell erschöpft. Beispielsweise sind bei Fußballanfängern die Bewegungsausführung verstärkt vom deklarativen Gedächtnis (semantisches Gedächtnis, episodisches Gedächtnis) abhängig. Der Anfänger muss daher seine Aufmerksamkeit auf die einzelnen Schritte der Bewegung richten. Mit zunehmendem Üben wird sie automatisiert. Daher können erfahrene Fussballer im Nachhinein häufig nicht beschreiben, warum oder wie sie etwas gemacht haben (Expertise-induzierte Amnesie, Beilock & Carr, 2001). Ein erfahrener Fußballspieler benötigt daher keine Schritt-für-Schritt-Anweisungen aus dem Arbeitsgedächtnis, um zu dribbeln, sondern kann die beschränkte Arbeitsgedächtniskapazität für eine situationsadäquate taktische Entscheidung verwenden. Für die Handlung auf dem Feld bedeutet dies, dass er seine Entscheidung schneller und besser treffen kann (Näheres dazu https://www.die-sportpsychologen.de/2017/07/dr-rene-paasch-von-wegen-ein-einfacher-pass-exekutivfunktionen-im-fussball/).
Fazit
Neben den kognitiven Leistungsfaktoren im Fußball können Trainer durch Instruktionen Einfluss auf Gedächtnisprozesse ihrer Spieler nehmen. Trainer sollten versuchen, Übungs- und Spielformen derart zu gestalten, dass die kognitiven Anpassungsprozesse optimal zum Tragen kommen und verbale Äußerungen das Lernen fördern und nicht stören. Es empfiehlt sich, bildhafte Formulierungen aus einem anderen, vertrauten Handlungszusammenhang auf die Ausführung eines Bewegungsablaufs zu übertragen. Derartige bildhafte Metaphern unterstützen implizite Lernprozesse und umgehen die Limitationen des Arbeitsgedächtnisses.
Die sportpsychologische Forschung zu kognitiven Leistungsfaktoren im Fußball (Antizipation, Wahrnehmung, Aufmerksamkeit, Kreativität, Spielintelligenz) ist vergleichsweise jung. Einen Goldstandard für Diagnostik und Training gibt es derzeit noch nicht. Dennoch existieren vielversprechende Ansätze, die sich in der Praxis bereits bewährt haben. Klar ist, dass die Sportpsychologie hier unterstützend für Trainer und Übungsleiter zu Rate gezogen werden kann. Und zum Abschluss noch zu meiner Frage, ob dieses kreative Element quasi angeboren wird? Natürlich nicht, Spielkreativität ist für jedermann erlernbar. Sie hat nichts mit der Menge der Neuronen im Gehirn eines Fußballers zu tun, sondern mit der Anzahl der Verbindungen, die die Zellen untereinander herstellen können. Damit es zu vielen dieser Verbindungen kommt, muss ein Fußballer oft und richtig kreativ stimuliert werden.
Literatur
Furley, P., & Memmert, D. (2018): Can creative role models prime creativity in soccer players? Psychology of Sport and Exercise, 37, 1–9. https://doi.org/10.1016/j.psychsport.2018.03.007
Knievel, Georg (2010): FIFA Weltmeisterschaft 2010. Kreativität und Torerzielung. 74, XII Blatt: graphische Darstellungen. – Köln, Deutsche Sporthochschule, Diplomarbeit 2011.
Memmert, D. (2014): Teaching Tactical Creativity in Team and Racket Sports: Research and Practice. Abingdon: Routledge.