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Die Entschlüsselung des Siegergens

von | 07.05.24 | Prof. Dr. René Paasch

Sechs Mal in Folge hatte die deutsche Frauenfußball-Nationalelf seit 1995 den Europameisterschaftstitel geholt. Doch im Sommer riss die Serie in den Niederlanden. Im Viertelfinale der UEFA Women’s EURO verlor das Team von Steffi Jones gegen Dänemark – nicht nur die medialen Beobachter monierten eine fehlende Siegermentalität. Ähnliche Aussagen fallen immer wieder von Trainern, Spielern und Funktionären, die ihre verlorenen Spiele damit rechtfertigen wollen. Ich nehme diesen Ball auf und versuche anhand von Eigenschaften Siegertypen und erfolgreiche Mannschaften zu beschreiben.  

Zum Thema: Welche Eigenschaften beschreiben eine ausgeprägte Siegermentalität von Mannschaften und Sportlern?

Was ist Siegermentalität im Fußball? Insbesondere im Fußball zählt nur der Erfolg. Viele Trainer benutzen diesen Begriff, um durch das Fehlen der Siegermentalität eine Niederlage zu rechtfertigen. Doch was ist Siegermentalität eigentlich? Selbst im Internet findet man keine verständliche Definition dazu. Ein erster Überlegungsansatz liegt in der Annahme, dass Fußballer mit Siegermentalität immer gewinnen wollen. Wie beispielsweise Cristiano Ronaldo, der mit seinen physischen Fähigkeiten und seinem Fleiß stetig überzeugt. Doch woher nimmt dieser Weltfußballer seinen unbedingten Siegeswillen? Schließlich war er vor seinen Erfolgen ein normaler Nachwuchskicker mit Talent? Liegt es an den Trainingsmöglichkeiten und dem Trainer- und Funktionsteam, die er im Rahmen seiner Entwicklung nutzen konnte? Ist er mit dem „Siegergen“ schon zur Welt gekommen? So steht man vor vielen Fragen und Ideen, die nicht direkt festzumachen sind. Ich versuche anhand meiner Erfahrungen und empirischer Forschung Ihnen die Siegermentalität im Fußball näher zu erläutern:

Abb. 1: Siegermentalität im Fußball, Paasch (2017)

Für mich steht die Frage im Mittelpunkt, ob die Siegermentalität angeboren ist oder ob man sie entwickeln kann?

Entscheidend ist nicht nur auf dem Platz

Bundestrainer Joachim Löw sagte vor einiger Zeit im Interview: “Wir haben die nötige Siegermentalität auf und neben den Platz.“ Dieses Zitat macht deutlich, dass sich der Drang zum Sieg nicht nur auf den Fußball, sondern auf allen Lebensbereichen beziehen kann. Ein weiterer wichtiger Punkt liegt in der Zielsetzung. Die meisten Fußballer und Mannschaften, die erfolgreich waren, gaben im Vorfeld den größtmöglichen Erfolg als Ziel aus. Diese Zielsetzung wird von der Energie begleitet, den sportlichen Weg sehr akribisch zu verfolgen. Damit einher geht die starke Ausrichtung auf den Sieg. Die meisten Leistungskicker und Mannschaften richten ihr gesamtes Leben auf das gesetzte Ziel aus. Sie leben rund um die Uhr für Ihren Traum, das angestrebte Ziel realisieren zu können. Auch wenn das oft bedeutet, Einschränkungen akzeptieren zu müssen.

Der wichtigste Punkt für mich liegt im Umgang der Leistungskicker und Teams mit Widrigkeiten, Problemen und Niederlagen. Aus meiner Erfahrung heraus, sehen sie dies nicht als Problem, sondern als Herausforderung Ihre Leistungsfähigkeit zu verbessern.

Warum lange Bälle?

Im Fußball stellen viele Trainer ihre taktischen Vorgaben bei einem Rückstand kurz vor Schluss um. Sie agieren vermehrt mit langen Bällen, um das Mittelfeld schnell zu überbrücken. Natürlich funktioniert diese Herangehensweise ab und an. Würde man jedoch bedachter herangehen, dann würde die Mannschaft die taktische Ausrichtung wählen, von dessen Nachhaltigkeit sie überzeugt ist. Denn wenn der Trainer von langen Bällen überzeugt ist, warum lässt er nicht von Anfang an so spielen? In der Charakteristik von Gewinnern gibt es unerlässliche Faktoren, egal ob diese Charakterzüge angeboren oder entwickelt worden sind. Wenn man seinen Sport nicht leidenschaftlich ausführt, wird man nie erfolgreich sein. Wer nicht bereit ist, Ressourcen wie Zeit zu investieren, hat wenige Chancen auf den Erfolg. Ein weiterer Kernpunkt liegt in der Ausrichtung und ganz besonders dann, wenn der Sieg ausbleibt. Es gibt nur wenige Lebensläufe von großen Siegern und erfolgreichen Mannschaften, die nicht auch Rückschläge zu verkraften hatten um dann besser zu werden. Ein weiteres Merkmal ist der Mut. Die Geschichte hat oft gezeigt, dass der Fußball die Mutigen belohnt. In vielen Situationen entscheidet das individuelle und kollektive Selbstvertrauen des Fußballers und der Mannschaft. Die Überzeugung und das Bewusstsein der eigenen Stärken sind wichtige Eigenschaften auf dem Weg zum Erfolg.

Kommen wir nun zu den Mannschaften: Welche Faktoren zeichnen Mannschaften aus, die eine Siegermentalität verkörpern? Die erste Komponente ist eine klare Vorstellung der Spielphilosophie und die transformationale Führung des Trainers. Hat der Verein und der Trainer eine klare Idee davon, wie er die Mannschaft führen will. In diesem Bereich haben vor allem die leistungsorientierten Vereine aufgrund der großen personellen Fluktuation „Trainer & Spieler“ mit einer hohen Kurzfristigkeit zu kämpfen. Ein tolles Beispiel für Langfristigkeit im Fußball ist der Trainer Frank Schmidt von 1. FC Heidenheim, der seit zehn Jahren diesen erfolgreichen Club betreut. Leider kommt dies zu selten vor. Auch die Anzahl an Erfahrungswerten, auf die die Mannschaft zurückgreifen kann, ist relevant. Dabei nutzt man Erfahrungen als Auslöser (verlorene und gewonnene Spiele/Meisterschaften), die das Bewusstsein über die eigenen Fähigkeiten verbessern und verstärken können. Dennoch ist das wiederholte Gewinnen nicht dauerhaft einstellbar. Dies braucht Zeit! Zeit, die Trainer, Spieler und Mannschaften oft nicht haben. Des Weiteren ist die Kommunikation untereinander, die gemeinsame Identität, die gemeinsamen Regeln und Ziele unerlässliche Eigenschaften von echten Teams. Näheres dazu finden Sie über diesen Link: 

Die Bedeutung von Individualität

Des weiteren  wird sich der Erfolg ohne individuellen Ehrgeiz nicht realisieren lassen. Es muss immer eine Balance zwischen den individuellen Bedürfnissen und den Teambedürfnissen vorherrschen. Dies führt im Idealfall dazu, dass die Mannschaft gestärkt auftritt und keinen Zweifel daran aufkommen lässt, wer erfolgreich sein wird – dies nennen wir dann „Kollektive Selbstwirksamkeit“. Wenn wir uns jetzt der Siegermentalität wissenschaftlich nähern, landen wir schnell beim „Perfektionistischen Streben“. Dies beinhaltet Leistungsmotivation, Volition und Selbstdisziplin (Stoll, O. et al, 2010). Sportler, die das in sich haben, verfolgen hohe persönlichen Standards und zeigen dabei eine „hohe Organisiertheit“. Ähnliche Persönlichkeitseigenschaften konnte beim Nachwuchs festgestellt werden (Holt et al., 2006; Drewitz et al., 2009; Milles et al., 2011).

Fazit

Sowohl bei Leistungskickern als auch bei Mannschaften ist die Entwicklung der Siegermentalität von klaren Eigenschaften abhängig. Diese gilt es, individuell fördern!

Literatur

Deutscher Fußball-Bund (DFB), Drewitz, H.-D., Sammer, M., Sandrock, H., Engel, F. & Schott, U. (2009). Talente fordern und fördern! Konzepte und Strukturen vom Kinder- bis zum Spitzenfußball. Münster: Philippka.

Milles, D., Harttgen U., Struck H. (2011). Bewältigungsressourcen und Leistungsentwicklung. Empirische Grundlagen zur komplexen Talent- und Gesundheitsförderung Bewältigungsressourcen und Leistungsentwicklung, in: Leistungssport, 41 (3), S. 41 – 47 S. 41-47

Stoll, O., Pfeffer, I. & Alfermann, D. (2010). Lehrbuch Sportpsychologie. Bern: Hans Huber Verlag.

Prof. Dr. René Paasch

Prof. Dr. René Paasch

Professor für Sportpsychologie und Life Coaching

Ich bin verheiratet, habe 7 Kinder und lebe inzwischen in Bayern. Als Familienmensch haben Werte wie Vertrauen, Offenheit und Verantwortung einen hohen Stellenwert für mich.
In meiner Arbeit als Sportpsychologe und Life Coach vertrete ich eine ganzheitliche Sicht. Egal ob Spitzen- oder Breitensport, Beruf oder Privat – jede Situation hat bringt eigene Herausforderung mit, weshalb mich immer das Gesamtpaket interessiert und begeistert.
Weil keine Begleitung und Betreuung der vorherigen gleicht, liebe ich meine Arbeit. Ich verstehe mich dabei als Coach und Mentor und bringe mein gesamtes Wissen und mein Netzwerk in eine Zusammenarbeit mit ein.