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Ein neues Bildungskonzept im Deutschen Fußball

von | 07.05.24 | Prof. Dr. René Paasch

Eine gute Bildung ist entscheidend für die Zukunft unserer Kinder und Jugendlichen. Das ist klar. Aber was genau ist gute Bildung im Fußball, vor allem in einer Zeit der stetigen Umbrüche, in der sich die Anforderungen an Fußballer stetig verändern? Was brauchen unsere Jüngsten von uns, damit sie sich Wissen und Können aneignen und gleichzeitig individuelle Orientierung im sportlichen Leben finden können? Wie lernen sie, wie das Zusammenleben im Verein, in der Mannschaft und im 21. Jahrhundert wirklich gelingen kann? Unsere Nachwuchsleistungszentren bekommen das nicht allein hin. Dafür braucht es jetzt uns alle. Dieser Beitrag ist ein Mutmacher für kleine Vereine, Trainer, Eltern und alle, denen unsere Kids am Herzen liegen.

Zum Thema: Bildung im Deutschen Fußball

Für ein gelingendes Fußball-Leben brauchen wir vor allem eins: Ein neues Bildungskonzept im Deutschen Fußball! René Paasch

Um es gleich von Anfang an deutlich zu machen: Ich bin kein Fußball-Lehrer, Ausbildungsleiter der Fußball-Akademie und nicht festangestellt im Leistungsfußball. Ich bin Psychologe, freiberuflicher Sportpsychologe, Sportpädagoge und Sportwissenschaftler mit dem Schwerpunkt Leistungssport. Aber vor allem bin ich ein lebendiger Mensch, ein Vater mit großer Verbindung zum Fußball und auf der Suche nach dem, was uns und unsere Kinder im Deutschen Fußball glücklich macht. Mit zahlreichen Akteuren aus dem Fußball und unserem Netzwerk „Die Sportpsychologen“ können wir uns das gegenwärtige Geschehen aus unterschiedlichen Blickwinkeln und mit dem nötigen Abstand anschauen. Klar, dass wir so manches anders bewerten als diejenigen, die selbst Teil dieses Systems sind. Schauen wir uns dies näher an. Los geht’s…

Veränderung liegt in der Luft. Sogar der DFB, auch die in den Nachwuchsleistungszentren tätigen Personen und vor allem die um die Zukunft ihrer Kinder besorgten Eltern spüren es seit einigen Jahren immer deutlicher: So rasch hat sich der Fußball und die Welt noch nie verändert. Allen ist klar, dass sich dieser einhergehende Veränderungsprozess und die nachweisbaren Vorsprünge anderer Fußball-Nationen künftig noch weiter beschleunigen werden. Wer jetzt nicht aufwacht und sich lernend auf den Weg macht, wird schnell den Anschluss verlieren. Bezeichnen wir es also als unstrittig, wie wichtig eine möglichst gute Bildung für unsere Kinder und Jugendlichen auf und neben dem Platz ist.

Verändertes Training, Reform der Trainerausbildung und Individualität

Aber schon bei der Frage, wie diese optimale Bildung im Deutschen Fußball aussehen soll, scheiden sich die Geister. Manche fordern intensivere und verbesserte Trainingsinhalte oder die Reform der Trainerausbildung, andere meinen auf die Aneignung von individuellen fußballerischen Kompetenzen komme es vor allem an. Manche finden die Förderung der besonders Begabten als notwendig. Und so geht die Debatte im Deutschen Fußball dann auch munter weiter: Solange wie möglich in ihren Heimatvereinen verbleiben oder ab in die Nachwuchsleistungszentren, individuelle Förderung oder Fußballinternate und -schulen, Entwicklung in Teams oder einzeln. Kleiner oder großer Verein, Frühzeitiges Aussortieren und nur Talente fördern oder keinen Spieler zurücklassen… 

Zu jeder Frage gibt es ebenso hitzige wie zermürbende Diskussionen darüber, was denn nun das geeignetere Vorgehen sei. Aber Uneinigkeit herrscht nicht nur hinsichtlich der Frage, wie eine optimale Entwicklung eines Kindes im Fußball auszusehen hat. Noch viel breiter wird das Spektrum an Vorschlägen und Ideen, wenn es darum geht, welche Inhalte in den Vereinen angeboten werden sollen. Trainingspläne und -umfänge abspecken sagen die einen, erfahrene Trainer in den jüngeren Jahrgängen, mehr individuelle Förderung oder die Entwicklung besonderer Charaktere, fordern die anderen. Persönlichkeitsentwicklung und fußballerische Fertigkeiten dürften nicht vernachlässigt werden, aber der Leistungsgedanke und das Gewinnen ebenso nicht. Und gleichzeitig wächst die Liste mit Vorschlägen, was noch alles in den Vereinen unterrichtet werden sollte: vom Sozialverhalten auf und neben dem Platz über vielfältige Sportangebote bis hin zu mentaler Stärke, Erziehung und selbstverständlich auch dem Umgang mit digitalen Trainingsmöglichkeiten. Die Aufzählung all der vielen Vorschläge und Forderungen, die alle entweder darauf abzielen wie künftig besser in den Vereinen trainiert und gelernt werden sollte, ließe sich noch beliebig erweitern. Und natürlich kann man dann auch trefflich darüber debattieren, was davon tatsächlich geeignet ist, um eine möglichst gute Bildung für möglichst viele Heranwachsende Spieler zu erreichen. 

Meine Forderung: Mehr Mensch im Fußball

Wer dieses ganze Hin und Her und das ständige Für und Wider des deutschen Fußballs als unbefangener Beobachter von außen betrachtet, kann sich des Eindrucks kaum erwehren, dass jetzt der richtige Zeitpunkt gekommen ist, für mehr Mensch im Fußball. Nicht irgendetwas, sondern etwas ganz Grundsätzliches. Dieses Durcheinander ordnet sich erst dann, wenn die Mitglieder eines Verbandes sich über den Sinn und Zweck ihres Tuns einig geworden sind. Für das Bemühen um eine möglichst gute Bildung heißt das: Solange es nicht gelingt, uns miteinander darauf zu verständigen, wofür Bildung im Deutschen Fußball gebraucht wird, welche Ziele an der Basis umgesetzt werden sollen und wozu sie Kinder und Jugendliche befähigen sollen, werden wir uns auch weiterhin in einer ständig wachsenden Fülle an gut gemeinten Vorschlägen und wohl begründeten Forderungen zur Verbesserung der Bildung verheddern. Sollten wir deshalb nicht lieber bei denjenigen Rat suchen, denen weniger ihr Leistungspotential und ihre Karriere am Herzen liegen, sondern – so sehr es nur geht – die Zukunft der interessierten Kicker? 

Das können auch Trainer, Vereinsmanager oder Mentoren sein, aber das sind immer und zuallererst diejenigen, die diesen Kindern ihr Leben geschenkt, die sie begleitet und so gut sie das vermochten, großgezogen haben. Und was antworten die meisten Spielereltern, wenn sie gefragt werden, was sie sich für ihre Kinder wünschen? „Glücklich sollen sie sein, jetzt schon, aber auch noch später als Erwachsene.“ Und wenn man die Eltern dann weiter befragt, was ihrer Meinung nach jedes Kind wirklich braucht, um sein sportliches Leben so gestalten zu können, dass es glücklich wird und viel spielen darf, kommen die Antworten wie aus der Pistole geschossen: eine Tätigkeit, die Freude macht, verlässliche Teamkollegen und fürsorgliche Trainer, die zu ihm halten und natürlich auch Geborgenheit, Vertrauen, Zuversicht, eine förderliche Sprachkultur sowie Herausforderungen und immer wieder ganz viel Freude am eigenen Entdecken und am gemeinsamen Tun. Finden wir solche Denk- und Verhaltensweisen im Deutschen Fußball? Nur vereinzelt! 

Konkrete Ansätze

Möglicherweise kommt es gar nicht darauf an, eine erfolgreiche Fußball-Nation zu sein. „Denn aus meiner Sicht sind wir das“. Möglicherweise ist es viel wichtiger Talente zu entwickeln, damit einem möglichst vieles im Fußball gelingt. Nun sind wir endlich dort angekommen, wo die Frage nach dem Sinn der Bildung im Deutschen Fußball spannend wird: Wir können nicht in die Haut unserer Kinder und Jugendlichen schlüpfen, selbst wenn wir uns noch so sehr darum bemühen. Aber wir können ihnen ermöglichen, sich all das Notwendige anzueignen, damit sie ihr sportliches Leben so gestalten können, dass es gelingt. Und das, was sie dazu benötigen und was wir ihnen dafür mit auf den Weg geben können, ist Bildung. Bildung für ein gelingendes Fußball-Leben. Alles andere ist Ausbildung. 

Hier einige Anregungen für eine verbesserte Bildung im Deutschen Fußball: 

Würde: 

https://www.die-sportpsychologen.de/2018/12/dr-rene-paasch-die-wuerde-der-nachwuchsspieler-ist-unantastbar/

Menschlichkeit:  

https://www.die-sportpsychologen.de/2019/02/dr-rene-paasch-ein-menschlicherer-fussball-wer-ist-dabei/

Mentoren: 

https://www.die-sportpsychologen.de/2020/04/dr-rene-paasch-warum-der-deutsche-fussball-mentoren-braucht/ 

https://www.die-sportpsychologen.de/2020/12/dr-rene-paasch-mentoren-lassen-kinder-fehler-machen/

Herausforderungen: 

https://www.sportschau.de/fussball/allgemein/talente-interview-psychologe-100.html

Talententwicklung: 

https://www.die-sportpsychologen.de/2019/07/dr-rene-paasch-talententwicklung-im-nachwuchsfussball/

Persönlichkeiten: 

https://www.die-sportpsychologen.de/2020/03/dr-rene-paasch-trainer-und-spielerpersoenlichkeiten-im-fussball-entwickeln/ 

Mindset: 

https://www.die-sportpsychologen.de/2015/06/dr-rene-paasch-mentales-training-im-nachwuchsfussball/ 

https://www.die-sportpsychologen.de/2020/02/dr-rene-paasch-das-mindset-im-fussball-denkweise-fuer-erfolg-und-wachstum/ 

Empathie: 

https://www.die-sportpsychologen.de/2016/10/dr-rene-paasch-empathiefaehigkeit-fuer-trainer/ 

https://www.die-sportpsychologen.de/2018/11/dr-rene-paasch-emotionale-kompetenz-im-fussball/ 

https://www.die-sportpsychologen.de/2019/01/dr-rene-paasch-lernen-als-fuehrungsperson-im-jugendfussball/

Eltern: 

https://ins-netz-gegangen.info/tag/eltern 

Fazit

Wie sollten wir diese Bildung nun im Deutschen Fußball angehen? Der allerwichtigste Schritt wird es sein, dass die Vereine in ihrem Alltag die Bildung für ein gelingendes sportliches Fußball-Leben möglich machen, wie bspw. eine positive Fehlerkultur, Erlebnisse statt Ergebnisse, Mentorenprogramme für Spieler und Trainer, die Trainerausbildung für mehr Menschlichkeit und soziale Kompetenzen entwickeln, emotionale Verbundenheit und Autonomie ermöglichen u.v.m. Ob mit oder ohne Reformierung der Trainerausbildung im Deutschen Fußball und im Vereinssport – unsere Kinder und Jugendliche sind auf solche Erfahrungswelten im Fußball angewiesen.

Prof. Dr. René Paasch

Prof. Dr. René Paasch

Professor für Sportpsychologie und Life Coaching

Ich bin verheiratet, habe 7 Kinder und lebe inzwischen in Bayern. Als Familienmensch haben Werte wie Vertrauen, Offenheit und Verantwortung einen hohen Stellenwert für mich.
In meiner Arbeit als Sportpsychologe und Life Coach vertrete ich eine ganzheitliche Sicht. Egal ob Spitzen- oder Breitensport, Beruf oder Privat – jede Situation hat bringt eigene Herausforderung mit, weshalb mich immer das Gesamtpaket interessiert und begeistert.
Weil keine Begleitung und Betreuung der vorherigen gleicht, liebe ich meine Arbeit. Ich verstehe mich dabei als Coach und Mentor und bringe mein gesamtes Wissen und mein Netzwerk in eine Zusammenarbeit mit ein.