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Hochsensibilität im Jugendfußball

von | 07.05.24 | Prof. Dr. René Paasch

Streitereien, Tränen oder Verhaltensauffälligkeiten beim Training und Wettkampf mag kein Coach. Weder auf noch neben dem Sportplatz. Auf der anderen Seite gibt es Jungen und Mädchen, die hochsensibel sind (kognitiv, emotional und sensorisch). Sie stehen sich meist selbst im Weg, nicht selten wird ihnen Unrecht getan. Es geht darum, diese sensiblen Heranwachsenden, darin zu unterstützen, Vertrauen in sich selbst und in ihre Fähigkeiten zu stärken. Ich nehme diesen Ball auf, um dieses Thema bekannter zu machen und Ihnen eine Hilfestellung zu geben.

Zum Thema: Hochsensibilität im Jugendfußball

Hochsensibilität (HSP) wurde Ende der 1990er Jahre von der amerikanischen Psychologieprofessorin Elaine Aron erforscht. Ihr Buch „Highly Sensitive Person“ von 2005 ist bis heute das Standardwerk für viele Interessierte. Nach ihren Forschungen sind ca. 15-20 Prozent der Menschen hochsensibel. Sie nehmen äußere Reize, wie Geräusche oder innere Reize wie die Gefühlslage anderer Menschen nicht nur wesentlich intensiver wahr als „Normalsensible“, sondern reagieren auch auf geringfügige Reize, die von den meisten Menschen gar nicht wahrgenommen werden. Hochsensibilität führt also zu einer wesentlich schnelleren Reizüberflutung, weil das Nervensystem und das Gehirn die extrem umfangreiche Stimulation nicht mehr richtig verarbeiten können. Hochsensible Kinder und Jugendliche benötigen früher eine Pause um all die eingegangenen Informationen zu verarbeiten. Dies bedeutet aber auch, dass sie mit HSP, häufig anfälliger sind für psychische Erkrankungen, denn die permanente Überschreitung der eigenen Grenzen kann schnell zu einem Zusammenbruch führen. Hier die Unterscheidung (Aron, 1997):

  • Sensorisch sensible Kinder und Jugendliche mit HSP haben besonders feine Sinneswahrnehmungen, sie reagieren stark auf optische Reize.
  • Emotional sensible Kinder und Jugendliche nehmen Feinheiten im zwischenmenschlichen Bereich besonders intensiv wahr. Sie haben häufig eine stark ausgeprägte Intuition und sind auffällig empathisch.
  • Kognitiv sensible Kinder und Jugendliche haben dagegen ein außergewöhnlich starkes Gespür für komplexe Zusammenhänge.

Die meisten Kinder und Jugendlichen erleben sich als eine Mischung aus diesen drei Kategorien. Um der Reizüberflutung zu entkommen, ziehen sie sich schnell zurück. Tatsächlich sind diese Kinder und Jugendliche aber genauso viel oder wenig kontaktfreudig wie ohne diese Sensibilität. Einige junge Sportler/innen leiden unter Hochsensibilität, bis ihnen klar wird, dass sie nicht krank sind, sondern zum Kreis der Genannten gehören. Wer hochsensibel ist, stößt bei seinen Mitschülern, Eltern, Trainern und Mannschaftskollegen häufig auf Unverständnis. Viele glauben, dass mit ihnen etwas nicht stimmt. Hochsensibilität ist eine psychologische und neurophysiologische Ausprägung. Nicht alle, die HSP haben, werden als solche geboren. Manche entwickeln diese Fähigkeiten erst im Laufe ihrer Entwicklung. Je mehr stressbelastete Erfahrungen sie machen (Verletzungen, Leistungsdruck u.v.m.) desto feiner werden ihre Sinne. Hierbei handelt es sich um eine Art Schutzmechanismus, der entwickelt wird, um zukünftige negative Erfahrungen zu vermeiden.

Anregungen für die Praxis

„Hochsensible“ nehmen feinere Einzelheiten wahr als andere gleichaltrige und verarbeiten diese Eindrücke komplexer. Das ermöglicht ihnen, sehr enge zwischenmenschliche Beziehungen zu führen. Auch umfangreiches Denken, Einfühlungsvermögen und Intuition gehören zu den positiven Eigenschaften für Hochsensibilität. Dies kann zu außergewöhnlichen Fähigkeiten führen. Sensorisch veranlagte haben oftmals eine künstlerische Begabung. Emotional sensible hingegen unterstützen gerne und haben eine starke Ausprägung gegenüber anderen. Kognitiv sensible dagegen haben die Fähigkeit, komplexe Zusammenhänge zu erkennen, nicht selten in den Bereichen von umfangreichen Themen. Hier einige Anregungen, wie Sie mit Ihren Sprösslingen mit und ohne HSP umgehen können:  

  • Schule, Fußball und Freizeit zeitlich optimieren
  • Kreativität auf und neben dem Sportplatz fördern
  • fehlende Autonomie aufbrechen und Selbständigkeit bestärken
  • Gedanken und Gefühle zulassen (Aron, 2008)
  • regelmäßige Gespräche mit den Eltern und Spielern/innen führen
  • Perspektiven und Alternativen zulassen und lenken  
  • auf Anforderungen behutsam vorbereiten
  • auch außersportliche Leistungen würdigen
  • bei Verletzungen unterstützen und Zugehörigkeit ermöglichen
  • bei Erfolg und Misserfolg vorbildlich verhalten
  • Erlebnis und Entwicklung statt Ergebnis

Schaffen Sie ein Trainingsklima, welches den wertschätzenden Umgang miteinander fördert. Dazu tragen feste Programme, Regeln, aktives Zuhören, Rituale und empathische Führung bei. Auf diese Weise geben Sie Ihren Spielern/innen Sicherheit und fördern das individuelle und kollektive Wachstum. So entwickelt sich auch bei den übrigen Spielern/innen die Fähigkeit, sich in den anderen hineinzuversetzen. Ziel sollte sein, die individuelle und mannschaftliche Entwicklung zu stärken. Lassen Sie unbedingt die Kinder und Jugendliche zu Wort kommen. Wenn diese erst einmal das Miteinander gelernt haben, geben sie sich gerne gegenseitig Rückmeldung und können somit zusammenwachsen.

Fazit

Es gibt kein allgemeingültiges Verfahren um festzustellen, ob ein junger Mensch hochsensibel ist. Einige Spieler/innen berichten davon, dass bereits die Vermutung und das offene Gespräch, ihnen dabei geholfen hat, sich selbst mehr zu akzeptieren und die Schule und den Sport – unter Zuhilfenahme der Eltern und Trainern – entsprechend zu gestalten und einzurichten. Somit lernen sie, sich situationsbedingt abzugrenzen und versuchen nicht mehr, wie alle anderen zu sein, sondern stehen zu ihrer Persönlichkeit.

Literatur

Aron, N. Elaine (2005): mvg Verlag

Aron, N. Elaine (2008): Das hochsensible Kind: Wie Sie auf die besonderen Schwächen und Bedürfnisse Ihres Kindes eingehen Taschenbuch. mvg Verlag.

Aron, N. Elaine (2014): Sind Sie hochsensibel? Ein praktisches Handbuch für hochsensible Menschen. Das Arbeitsbuch. mvg Verlag.

Prof. Dr. René Paasch

Prof. Dr. René Paasch

Professor für Sportpsychologie und Life Coaching

Ich bin verheiratet, habe 7 Kinder und lebe inzwischen in Bayern. Als Familienmensch haben Werte wie Vertrauen, Offenheit und Verantwortung einen hohen Stellenwert für mich.
In meiner Arbeit als Sportpsychologe und Life Coach vertrete ich eine ganzheitliche Sicht. Egal ob Spitzen- oder Breitensport, Beruf oder Privat – jede Situation hat bringt eigene Herausforderung mit, weshalb mich immer das Gesamtpaket interessiert und begeistert.
Weil keine Begleitung und Betreuung der vorherigen gleicht, liebe ich meine Arbeit. Ich verstehe mich dabei als Coach und Mentor und bringe mein gesamtes Wissen und mein Netzwerk in eine Zusammenarbeit mit ein.