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Der Fußball im Wandel – Die große Chance für die Sportpsychologie?

von | 07.05.24 | Prof. Dr. René Paasch

Der deutsche Fußball ist im Wandel. Dies zeigt eine neue Interessenvertretung der Fußballprofis, die aus verschiedenen Ligen zusammengeschlossen und ein neues Bündnis gegründet haben. Mats Hummels, Sven Bender und weitere 400 Akteure haben eine breite Agenda geplant. Das Bündnis, das für mehr Transparenz, Mitbestimmung und Solidarität einstehen will, ist zum großen Teil auch aus der Coronakrise und den damit einhergehenden Folgen für den Profi- und Amateurfußball geboren. In dieser Aufbruchstimmung stecken viele Möglichkeiten auch für unsere Disziplin. Denn der Großteil der Klubs der Bundesliga, der 2. Bundesliga und der 3. Liga bietet für die Profiteams immer noch keine sportpsychologische Betreuung an, obwohl die Profis ein solches Angebot ausdrücklich befürworten. Wäre es dann nicht wünschenswert im Zuge des Wandels auch über die angewandte Sportpsychologie im deutschen Fußball zu sprechen? Vielleicht braucht es gerade deshalb Bündnisse wie die Interessenvertretung der Fußballprofis, die die Sportpsychologie nutzen wollen und dabei keine Hand vor den Mund nehmen.

Zum Thema: Das mentale Sprungbrett unserer Disziplin 

Der Zusammenschluss eines neues Spielerbündnis ist der konsequente Schritt einer bemerkenswerten Entwicklung der vergangenen Wochen und Monate. Im Zuge der Coronakrise und der zeitlich fast parallel verlaufenden massiven Proteste gegen Rassismus und Polizeigewalt hatten sich etliche Profis mit klaren Worten und starker Haltung öffentlich positioniert und ihre Bekanntheit genutzt. Das Spielerbündnis, das für mehr Mitbestimmung und Menschlichkeit einstehen möchte, hat bekannte Fürsprecher. Mats Hummels, Sven Bender, Neven Subotic und Nils Petersen sind schon dabei, dazu viele weitere Spieler aus der 2. und 3. Liga. Offenbar sind es schon mehr als 400 Spieler/innen. Auch wichtige Themen, die in der Gesellschaft eine hohe Priorität genießen, sollen auf der Tagesordnung stehen. So wollen sich die zusammengeschlossenen Akteure auch zu Diskriminierung und Rassismus, Mobbing, Homosexualität und Homophobie äußern und sich klar positionieren. 

In den vergangenen Monaten wurde viel über die Auswirkungen und vor allem die (langfristigen) Folgen der Coronakrise für den deutschen Fußball diskutiert. Fans, Klubs und die Liga sind sich einig: Unabhängig wie dies konkret aussehen wird, darf es im deutschen Profifußball nicht so weitergehen. Mit der Initiative „Unser Fußball“ hat sich ein weiteres neues Fan-Bündnis im Umfeld der Bundesliga gegründet. Diese Anhänger fordern Vereine und Verbände auf, die Zukunft des Fußballs grundlegend neu zu gestalten – basisnah, nachhaltig und zeitgemäß. Auch die Deutsche Fußball-Liga (DFL) hält Veränderungen für notwendig und hat angekündigt, diese im Rahmen der Task Force „Zukunft Fußball“ ab Herbst 2020 in Angriff zu nehmen.

Näheres dazu https://unserfussball.jetzt/ 

Wäre dies jetzt nicht auch wünschenswert für unsere Disziplin? Schauen wir uns dazu die aktuelle Situation der Sportpsychologie im Fußball an! 

Sportpsychologie im Fußball

Bei einer aktuellen Befragung der VDV (2017/18/19) zeigte sich, dass in den drei höchsten deutschen Spielklassen nicht einmal zehn Prozent der Vereine ihren Profiteams eine regelmäßige sportpsychologische Betreuung gewähren. Fast zwei Drittel werden hingegen überhaupt nicht sportpsychologisch betreut. Die Daten sind damit sogar noch niedriger als bei der vorigen Erhebung der VDV in der Saison 2017/2018. Damals hatten 15 Prozent der Profi-Mannschaften eine professionelle sportpsychologische Betreuung, 25 Prozent eine teilweise Betreuung und 60 Prozent überhaupt keine Betreuung.

Besonders schlecht schneidet die 3. Liga ab. Hier verfügt nicht ein einziges Team über eine regelmäßige professionelle Betreuung. Nachdenklich ist die fehlende Unterstützung insbesondere vor dem Hintergrund, dass ein sportpsychologisches Angebot zur Erhaltung der seelischen Gesundheit sowie zur Leistungsoptimierung von den Befragten durchweg gewünscht wird. Ein solches vertrauliches und professionelles Hilfsangebot für Leistungssportler/innen besteht in unserem Netzwerk „Die Sportpsychologen“ oder auf der „BISp-Datenbank“. Diese Experten-Netzwerke unterstützen Fußballvereine und weitere Sportarten darin, eine bedarfsgerechte sportpsychologische Arbeit zu installieren. Hierbei steht nicht zuletzt die Verzahnung von vorhandenen Betreuungsstrukturen auf Ebene der Nachwuchsleistungszentren mit neuen Angeboten für Profi-Teams, Einzelspieler, Trainerstäbe und Management im Fokus. Mit Hilfe dieser Kollegen/innen können Athletinnen und Athleten leicht zugänglich Kontakt aufnehmen. Alle Experten wurden nach klaren Kriterien in diesen Netzwerken aufgenommen.

Hier eine Übersicht über die Arbeitsweise der angewandten Sportpsychologie: 

https://www.die-sportpsychologen.de/2016/07/dr-rene-paasch-mentaltrainer-oder-sportpsychologe/

Fazit 

Als wünschenswertes Ergebnis lässt sich festhalten, dass dem sportpsychologischen Training von fast allen Akteuren im Fußball eine große Bedeutung zugesprochen wird, der Kenntnisstand und die Anwendung jedoch äußerst lückenhaft ist und der Einsatz entsprechender Kolleginnen und Kollegen kaum stattfinden. Viele Betreuungen finden nur hinter verschlossenen Türen und fernab der Öffentlichkeit statt – dieser Umstand führt auch dazu, dass einige Spieler und Vereine auf weniger seriöse Angebote hereinfallen. 

Der Fußball braucht einen Wandel und wir sollten dies mit unterstützen. Mein persönliches Anliegen und vieler weiterer Kolleginnen und Kollegen ist es, die Sportpsychologie im Fußball mehr zu etablieren und zu pflegen. Denn die Möglichkeiten unserer Disziplin werden oft unterschätzt. Dabei sind sie immense Größen für gesundheitlichen, sportlichen und menschlichen Erfolg.

Literatur

Biermann, Christoph & Fuchs, Ulrich (2002): Der Ball ist rund, damit das Spiel seine Richtung ändert. Wie moderner Fußball funktioniert. Köln: Kiepenheuer und Witsch Verlag.

Ror Wolf (2008): Das nächste Spiel ist immer das schwerste. Verlag Schöffling & Co. Friedrich-Hölderlin-Preis der Stadt Bad Homburg 2008. ISBN: 978-3-89561-324-1

Weitere Leseempfehlungen:  

  1. https://www.spielergewerkschaft.de/de/VDV/Aktuelles/Detail/1136/Weiterhin%20Defizite%20bei%20der%20sportpsychologischen%20Be.htm
  2. https://unserfussball.jetzt/pressespiegel/
Prof. Dr. René Paasch

Prof. Dr. René Paasch

Professor für Sportpsychologie und Life Coaching

Ich bin verheiratet, habe 7 Kinder und lebe inzwischen in Bayern. Als Familienmensch haben Werte wie Vertrauen, Offenheit und Verantwortung einen hohen Stellenwert für mich.
In meiner Arbeit als Sportpsychologe und Life Coach vertrete ich eine ganzheitliche Sicht. Egal ob Spitzen- oder Breitensport, Beruf oder Privat – jede Situation hat bringt eigene Herausforderung mit, weshalb mich immer das Gesamtpaket interessiert und begeistert.
Weil keine Begleitung und Betreuung der vorherigen gleicht, liebe ich meine Arbeit. Ich verstehe mich dabei als Coach und Mentor und bringe mein gesamtes Wissen und mein Netzwerk in eine Zusammenarbeit mit ein.